Der Begriff der Transformation ist ein zentrales Leitmotiv unserer Zeit. Egal ob wir über den Klimawandel und die notwendige Umgestaltung unserer Industrien und Lebensweisen reden, über das wirtschaftliche ‚Derisking‘ in Folge von Pandemie und der Ukraine-Invasion, oder über Krisenmomente der westlichen Demokratie – die Welt befindet sich im Wandel und wir sind mittendrin. Diesem Wandel unterliegt auch einer unserer wichtigsten Zugänge zur Welt; unser Bezug zur Arbeit, zum tätigen Leben. Analysen zur Arbeit und ihren mitunter prekären Verhältnissen sind aktuell populär wie eh und je. Erst kürzlich veröffentlichte beispielsweise der kritische Theoretiker Axel Honneth einen Band über den „Arbeitenden Souverän“ und die Frage nach einer zeitgemäßen Organisation von Arbeit. Ein weiterer Titel aus der jüngsten Zeit ist die Monographie Im Minus-Bereich von Jana Costas, in der die Professorin für Personal, Arbeit und Management die Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Reinigungskräften in Deutschland untersucht hat. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen (beispielsweise mit Julia Friedrichs eindrucksvollem Werk Working Class). Fest steht: Arbeit beschäftigt – in doppeldeutiger Hinsicht. Deswegen folgen hier nun einige angesammelte Gedanken zu vier Themenbereichen und ihrem Einfluss auf die Zukunft unserer Arbeitswelt.
Arbeitszeiten, Flexibilisierung, Work-Life-Balance und Care-Arbeit
Vor etwas über hundert Jahren wurde in Deutschland der Achtstundentag eingeführt, ab 1956 begann dann allmählich ein Durchsickern der Forderungen der 40-Stunden-Woche. Während sich in einzelnen tarifgebundenen Branchen die Arbeitszeiten seitdem stückweise weiterreduziert haben, gilt die 40-Stunden-Regel weiterhin als zentraler Orientierungsrahmen für einen Großteil der Vollzeitbeschäftigten. Kleiner historischer Exkurs: Im Jahr 1930 prognostizierte der bekannte Ökonom John Maynard Keynes, dass durch die zu erwartenden Produktivitätssteigerungen in 100 Jahren eine Wochenarbeitszeit von 15 Stunden für alle Beschäftigten ausreichen würde. Doch spätestens seit den letzten 40 Jahren ist dieses Versprechen der sinkenden Arbeitsstunden rückläufig, während gleichzeitig die Ungleichheit der Einkommen wieder zugenommen hat, wie etwa die Hans Böckler-Stiftung berichtete. Dieses nicht eingelöste Versprechen einer Übersetzung von gesteigerter Produktivität in gesellschaftlich geteilten Wohlstand hat den Glauben an den gemeinsamen Gesellschaftsvertrag ins Wanken gebracht. Deswegen sind Forderungen nach neuen Arbeitszeitmodellen, beginnend bei flexiblen Gestaltungen der Stunden bis hin zu weiteren, branchenübergreifenden Stundenreduzierungen bei vollem Lohnausgleich, das Gebot der Stunde. Befürworter dieser Forderungen verweisen beispielsweise auf bereits durchgeführte Teststudien zur Arbeitszeitreduktion und auf die beobachteten und noch zu erwartenden positiven Effekte einer solchen Politik; nicht nur würde ein reduziertes Stundenmodell bei vollem Lohnausgleich auch für einen Personalausgleich sorgen (durch Aufstockung und Anwerbung von bisher unterbeschäftigten Arbeitnehmer:innen), die Produktivität würde auch davon profitieren, dass Menschen ausgeruhter, gesünder und fokussierter ihre Arbeit leisten könnten. Daran angeknüpft ist auch die Hoffnung, eine Entlastung im Care-Sektor zu schaffen und einen Anstoß für eine gerechtere Verteilung dieser immer noch größtenteils von Frauen geleisteten Haushaltsarbeit zu bewirken. Neben faireren Gehältern in Niedriglohnbereichen gehören die Reduzierung, Flexibilisierung und gerechtere Verteilung von geleisteten Arbeitsstunden somit zu den drängendsten Themen im Kampf für eine zukunftsgerichtete Arbeitswelt.
Arbeit und die Generationenfrage: Keinen Bock auf Arbeit?
Der Einfluss des demographischen Faktors auf die Arbeitswelt wird in letzter Zeit vor allem über folgende Frage ins Spiel gebracht: Haben die jungen Menschen keinen Bock mehr auf Arbeit? Sind sie zu faul, zu wenig leistungsfähig? Diese Thesen müssen natürlich vorbehaltlos zurückgewiesen werden. An Begriffen zur Diffamierung moderner Arbeitskonflikte, auch denen junger Menschen, mangelt es wahrlich nicht: „Quiet Quitting“, ein im Kern harmloses beharren auf die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten wird da gerne mal als Zeichen für das geringe Engagement der Gen Z angesehen, während die zeitweisen Kündigungswellen in den USA in Folge der Pandemie und der staatlichen Transferleistungen als „Great Resignment“ linguistisch in die Tradition anderer einschneidender Krisen wie die Große Depression gestellt wurden. Fakt ist: Wenn junge Menschen etwa ihre Arbeitszeiten reduzieren wollen, dann tun sie dies nicht aus einer generellen Untätigkeit, sondern aufgrund einer sehr zutreffenden Bewertung der gesellschaftlichen und arbeitsmarkttechnischen Lage, der sie begegnen. Auf den Anstieg von Burnout-Fällen und psychischen Krankheiten mit dem Bedarf nach einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance zu reagieren, zeugt nicht von Leistungsunwillen, sondern von gesundheitlicher Weitsicht. Die steigenden Kosten, vor allem Wohnkosten, sowie die Zunahme der Vermögens- und Einkommensungleichheit (auch auf generationaler Ebene), sorgen zudem dafür, dass frühere Lebensträume wie das Einfamilienhaus mit Garten für die allermeisten in weite Ferne rücken.
Wofür sich noch abrackern, wenn Bildungsaufstiege bereits ausgereizt wurden, ein lebenslanges Arbeiten aber trotzdem kein Indikator für Sicherheit und finanzielle Stabilität mehr ist? Die Umwelt- und Klimakrise, in die sich die letzten 100-200 Jahre hineingearbeitet wurde, sät zudem weitere Zweifel: Wie soll Arbeit als Selbstzweck positiv bewertet werden, wenn ein Großteil der geleisteten Stunden aus der jüngsten Vergangenheit massive ökologische Externalitäten zur Folge hatten? Und dies ist nur ein Beispiel dafür, wie gesellschaftliche Probleme im Interesse der Kapitalakkumulation einiger Weniger systematisch ausgeblendet wurden. Dass junge Menschen sich nun mehr denn je Gedanken über die Sinnstiftung und Anerkennung ihrer Tätigkeit machen, ist hier mehr als nachvollziehbar. Nicht nur sind junge Menschen somit im Recht, Veränderungen im Arbeitsmarkt zu verlangen; die demographische Entwicklung der nächsten Jahre gibt ihnen auch Rückenwind. Während die Boomer-Jahrgänge zunehmend in Rente gehen, trifft ein Überangebot an offenen Stellen auf historisch kleine Kohorten – die Arbeitgeber der Zukunft stehen damit vor der Wahl, Beschäftigungen zu kürzen oder in den sauren Apfel zu beißen und die Bedingungen von Gen Z und Millennials ernst zu nehmen. Erste Betriebe, beispielsweise im Handwerk, sind sich dessen bereits bewusst und locken mit flexiblen Arbeitsbedingungen und Vier-Tage-Woche die dringend benötigten Fachkräfte zu sich.
Technischer Wandel, Automatisierung, Isolation
Fortschritte in der Automatisierung sind seit jeher begleitet von dystopischen Visionen der Massenarbeitslosigkeit und der Verdrängung von Arbeitsplätzen, dabei ist dieser intuitiv nachvollziehbare Effekt oftmals in der Realität um einiges komplexer als vielfach angenommen. Schließlich ist es beispielsweise nicht so, dass die Erfindung der Nähmaschine dafür gesorgt hätte, dass prinzipiell keine menschliche Arbeit mehr fürs Nähen benötigt wird; stattdessen wurde die durch moderne Nähtechnik ermöglichte Fließbandarbeit in Niedriglohnländer wie Bangladesch ausgelagert, während das produzierende Gewerbe im westlichen Inland zurückging. Menschliche Arbeit geht also durch Automatisierung nicht zwingend verloren: Sie verschiebt sich und wird im Zweifelsfall prekärer. Vieldiskutiert ist aktuell vor allem der prognostizierte Einfluss von generativer KI (ChatGPT, Midjourney, ect.) auf die Arbeitswelt. Während nun regelmäßig, vor allem von KI-Involvierten selbst, Endzeit-Szenarien gezeichnet werden, wird der tatsächliche Einfluss von kühleren Köpfen als weniger apokalyptisch eingeschätzt. Gewisse mühsame Arbeitsprozesse könnten zwar auf lange Sicht beschleunigt und ersetzt werden, die Verdrängung des Menschen aus ganzen Berufssparten scheint jedoch ein Ding in weiter Ferne zu sein. Auch hier lohnt es sich vielmehr, den Blick auf die realen Missstände zu werfen, die durch künstliche Intelligenz bereits heute erzeugt werden. Beispielsweise wird nur selten die Rolle der digitalen Plattformarbeiter:innen in den Blick genommen, die etwa auch für OpenAI elementare Vorarbeit für das Training des eigenen Lernmodells beigetragen haben. Auch selten beleuchtet werden grundsätzliche Fragen zum Thema Copyright und zur unrechtmäßigen Verwertung der Werke Dritter, die die Grundlage der meisten generativen KIs bilden. Doch da hört das Thema Digitalisierung und Arbeit noch nicht auf: So schreibt beispielsweise Simon Schaupp in seiner Studie Technopolitik von unten über die kybernetische Steuerung von Arbeiter:innen durch Arbeitgeber:innen in der modernen Arbeitswelt, beispielsweise in Jobs der Gig-Economy, etwa bei Essenslieferant:innen, aber auch in der Elektroindustrie. Technik als Mittel, um die Arbeitsprozesse der Menschen zunehmend zu disziplinieren und die Organisationsfähigkeit zwischen Arbeiter:innen zu schwächen, muss daher kritisch in den Blick genommen werden und verdient mehr mediale, politische und aktivistische Aufmerksamkeit, als KI-Schreckensszenarios, die nicht an den Problemen im Hier und Jetzt orientiert sind. Gerade der Einfluss des technischen Wandels birgt mit am stärksten ein Potential dafür, die Vereinzelung und Fragmentierung von Arbeiter:innen und ihren Interessen voranzutreiben; in räumlicher (durch Crowd- und Gigwork, aber auch durch die geplante Isolation von Arbeitenden in Logistikzentren wie jenen von Amazon) sowie in zeitlicher Hinsicht (durch exakte Vorgaben und Optimierungsmetriken, die disziplinierend wirken).
Die Frage nach dem Geld
Natürlich muss es auch noch mal um den schnöden Mammon gehen, gerade heute, wo Vermögensungleichheit ein episches Maß erreicht hat und durch immer noch hohe Inflationszahlen weiterhin Reallohnverluste festzustellen sind. Geld und Arbeit, das ist ein Wortpaar, dessen Begriffe sich auf vielfache Weise gegenseitig tangieren. Geld ist, zumindest in der kapitalistischen Wirtschaftslogik, in der wir uns befinden, der grundlegendste Arbeitsanreiz für den doppelt freien Lohnarbeiter. “Geld und Arbeit” betrifft aber nicht nur die Preisfindung auf dem Arbeitsmarkt, die urteilslos versucht, zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln; Arbeit und Entlohnung betreffen auch Fragen der Anerkennung und des Respekts. Gerade mit Blick auf die oben erwähnte Care-Arbeit, sowie alle anderen Bereiche, die stärker zur Instandhaltung unserer Infrastruktur beitragen (wie etwa die Müllabfuhr oder Reinigungskräfte), als zur Erhöhung von Aktienindizes, muss die Frage gestellt werden, inwiefern ein Marktpreis den Wert darstellen kann, den diese Arbeit für uns beisteuert. Wenn Entlohnung auch Respekt widerspiegelt, ist es gleichzeitig legitim, sich etwa über Höchstlöhne Gedanken zu machen, um der Gleichheit und (zumindest relativen) Gleichwertigkeit der Arbeit jedes Einzelnen ein Zeichen zu setzen. Wenn wir über Geld reden, dann müssen wir aber auch über die Rolle des Staates nachdenken; über die Frage, wie dieser sein Monopol auf die Währung dafür nutzen könnte, um Visionen einer besseren Arbeitswelt in die Realität umzusetzen. Neu aufgeworfen wurden diese Fragen beispielsweise von Vertretern der MMT, der Modern Monetary Theory, einer Geldtheorie, die dem Staat weitaus größere finanzielle Spielräume und eine Verantwortung zur entsprechenden Ankurbelung des Arbeitsmarktes zuspricht. Viele Anhänger:innen der Theorie befürworten daher eine staatliche Jobgarantie, also Programme auf kommunaler Ebene, die Menschen ein Jobangebot machen, das zur Vollbeschäftigung beiträgt und mit dem gesetzten Preis für die Arbeit zudem private Unternehmen zu höheren Löhnen zwingt. Einen anderen Weg schlagen Befürworter:innen des Grundeinkommens ein. Die Idee der leistungslosen staatlichen Grundversorgung ist bereits populär genug, dass private Akteure sowie Wissenschaftler:innen erste beschränkte Modellversuche wagten. Der Konsens der bisherigen Ergebnisse scheint dabei grundlegend positiv zu sein. Vor allem die erlebte psychische Entlastung von Modellteilnehmern, die etwa einem Jobwechsel etwas entspannter entgegensehen konnten, ist hervorzuheben. Doch egal ob Jobgarantie oder Grundeinkommen: Dass Geld ein politisches Instrument ist, steht fest. Geldpolitik, und damit auch die Macht der Zentralbanken und Geschäftsbanken, wieder stärker in Einklang zu bringen mit dem gesellschaftlichen Gemeinwohl, muss daher als komplexer, aber nichtsdestotrotz wichtiger Teil der Arbeitskonflikte der Zukunft verstanden werden.