Attackierte Wettermoderatoren, zur Philosophie des Störenfrieds und transatlantische Datenschutzabkommen
Diese Woche in der Grübelkiste: Eine Reportage über Angriffe in den sozialen Medien auf Wettermoderatoren und den Versuch einer Diskreditierung von Klimaberichterstattung; ein Podcast über die philosophische Begriffsbestimmung des Störenfrieds; und ein Artikel zum Thema internationaler Datenschutz, das ein neues Abkommen zwischen den USA und der EU behandelt.
Klimafakten unerwünscht: Warum Wettermoderatoren attackiert werden | NDR/ZAPP
Um was geht es?
Das heutzutage wirklich alles politisch ist, inklusive des Wetterberichts, zeigt dieser zugegebenermaßen beunruhigende Beitrag des Medienmagazins ZAPP, in dem mehrere TV-Meteorologen von ihren Erfahrungen mit Hass und Drohungen von Wissenschaftsleugnern im Netz berichten.
Was hängen blieb:
Das häufig missverstandene Verhältnis von Wetter und Klima ist eines, das regelmäßig von oben genannten Akteuren dafür missbraucht wird, um die Delegitimierung jeglicher Berichterstattung zum anthropogenen Klimawandel voranzutreiben. Neben der populistischen und unsachlichen Herangehensweise dieser Menschen und Netzwerke, stellt sich hier allerdings vor allem die Frage, inwiefern sich an der Vorstellung von Wissenschaft als ‚neutrales Feld‘, das sich an einer allgemeingültigen Wahrheitssuche orientiert, überhaupt noch festhalten lässt. Auch in Hinblick auf eine weiterhin zu gemächlich auftretende globale Klimapolitik zeigt sich, dass Überzeugung und Vertrauen, sowie eine gesellschaftlich breite, wahrhaftig differenzierte Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen ebenso zum Begriff der Wissenschaft gehören, wie die Besinnung auf Wahrheits- und Allgemeingültigkeitsansprüche.
Soziopod #064: Puer Robustus – Eine Philosophie des Störenfrieds von Dieter Thomä
Um was geht es?
Welche Dynamik steckt eigentlich hinter dem gesellschaftlichen Wandel, was führt ihn herbei – oder besser gesagt, wer? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Philosoph Dieter Thomä in seiner subjektorientierten Begriffsbestimmung des puer robustus: Gemeint ist hiermit die Sozialfigur des Störenfrieds, der den gesellschaftlichen Konventionen diametral gegenübersteht und durch sein grenzüberschreitendes Verhalten aufzeigt, dass ein anderes Leben möglich ist – im Guten, wie im Schlechten. Nils Köbel vom Soziopod hat den 700 Seiten schweren Wälzer gelesen und ordnet zusammen mit Patrick Breitenbach die Theorie Thomäs ein.
Was hängen blieb:
Zu den spannendsten Aspekten des puer robustus zählte für mich sein je unterschiedliches Erscheinungsbild. Neben dem egoistischen Störenfried, der sich etwa im skrupellosen Finanzmarkt-Spekulanten niederschlägt, dem nomozentrischen Störenfried, der vom Willen zur Etablierung einer neuen Ordnung angetrieben wird (Thomä nennt hier beispielhaft die Figur des Wilhelm Tell), und dem exzentrischen Störenfried, der ohne ausgefertigten Plan gegen die Routinen des Alltagslebens rebelliert, gesellt sich mit dem massiven Störenfried ein vierter Typ: Diesen Typus, der in Form einer Gruppe oder Bewegung auftaucht, führt Thomä auf Max Horkheimer zurück, der mit Blick auf die faschistischen Schlägertruppen am Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung bereits auf den Begriff puer robustus zurückgriff. Neben der breiten Typologie und der systematischen, philosophiegeschichtlichen Herangehensweise Thomäs, gefiel mir vor allem die Diskussion zum Verhältnis des Störenfrieds zur Figur des Helden, sowie die Überlegungen dazu, ob es heutzutage nicht eher ein Überangebot an Störenfrieden und einen Mangel an demokratischem Diskurs gibt.
Data Privacy. Von „Sicheren Häfen“, Schutzschilden und Rahmenwerken
Um was geht es?
Mit dem ‚Data Privacy Framework‘ haben die EU und die USA kürzlich einen weiteren Anlauf für ein gemeinsames Datenschutzabkommen gestartet, nachdem zwei vorangegangene Abkommen jeweils vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurden. Grund für das Scheitern ähnlicher Vorhaben war stets die Befürchtung, dass ein hinreichender Schutz für EU-Bürger:innen nicht gewährt sei; in Anbetracht der damaligen Snowden-Enthüllungen und der Tatsache, dass in den USA bis heute keine unabhängige Datenschutzbehörde existiert, keine unbegründeten Sorgen. Der Historiker Benedikt Neuroth ordnet das neue Abkommen ein und gibt Einblicke in die Historie des Datenschutzes in den USA und auf internationaler Ebene.
Was hängen blieb:
Das Thema Datenschutz kann, trotz seiner Relevanz für die Rechte jedes Einzelnen, ein sehr trockenes Thema sein, und abschnittsweise offenbart sich auch dieser Text als Strapaze für die eigene Konzentrationsfähigkeit. Dennoch empfand ich den Artikel und seinen Blick auf die US-Perspektive und die bestehenden internationalen Richtlinien als bereichernde Einordnung einer mir wenig bekannten Thematik. Die kurze Erwähnung der Situation rund um ByteDance und TikTok und den diesbezüglichen Datenschutzsorgen der USA offenbarte zudem eine gewisse Ironie, denkt man dabei an den weitgehend unregulierten Privatsektor im eigenen Land und die gesellschaftlichen Probleme, die durch eigene Social-Media-Plattformen in die Welt gebracht wurden. Das abschließend angerissene Konzept der ‚Data Sovereignty‘, als Beschreibung der Durchsetzung lokaler Prinzipien innerhalb des internationalen Datenverkehrs, bietet zudem einige (leider nicht weiter ausgeführte) Denkanstöße zur weiterhin bestehenden Relevanz territorialer Grenzen im vermeintlich postnationalen Zeitalter der Netzwerkgesellschaft - ein Thema, das mich persönlich vor allem deshalb interessiert, weil es am Rande auch in meiner Masterarbeit vorkommt, in der ich mich gerade mit dem Begriff der Geopolitik (insbesondere der aktuellen Weltraumpolitik) und seiner populären Darstellung in Science-Fiction Literatur beschäftige (damit wäre auch erklärt, wieso in den letzten Monaten keine neuen Ausgaben erschienen sind – mea culpa!).