Die Zukunft Europas, Demokratie im Losverfahren, Disney trifft LARP und der Auftakt von Obi-Wan Kenobi
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein Rückblick auf die wenig beachtete Konferenz zur Zukunft Europas, ein Podcast zur Frage, ob das Verlosen von politischen Ämtern demokratisch ist, ein ausführlicher Text über LARP und Disneys Interesse daran für ihre Themenparks und 100 Wörter (oder so) über die neue Star Wars-Serie Obi-Wan Kenobi.
Konferenz zur Zukunft Europas: Die Bilanz | ARTE
Um was geht es?
Die Konferenz zur Zukunft Europas, die in diesem Monat offiziell zu Ende ging, war ein ungewohnt bürger:innennahes Projekt, das erstaunlich wenig mediale Aufmerksamkeit bekam. Bürger:innen aus allen EU-Ländern trafen sich über ein Jahr regelmäßig und erarbeiteten in Bürger:innenforen sowie in Plenardiskussionen gemeinsam mit EU-Politiker:innen konkrete Politikvorschläge, denen sich die EU nun widmen soll. Dieser Beitrag von ARTE gibt einen Überblick zum Projekt und zeigt auf, wie es nun, nach der Konferenz, weiter geht.
Was hängen blieb:
Das mangelnde öffentliche Interesse zur Konferenz ist vor allem deswegen erstaunlich, da einige der nun beschlossenen Vorschläge nur mit einem Verfassungskonvent und damit durch Änderung der bestehenden EU-Verträge durchsetzbar sind. Die Einberufung dieses Konvents steht nun als nächstes an. Teil dieser kritischen Änderungsvorschläge ist beispielsweise die Einschränkung des Veto-Rechts und des Fokus auf Einstimmigkeit. Dies würde dazu führen, dass einzelne Staaten (wie zum Beispiel Ungarn aktuell in Bezug auf das diskutierte Öl-Embargo gegen Russland) nicht mehr die Macht hätten, die Einigungsprozesse in der EU zu blockieren. Ob es tatsächlich zu derlei tiefgreifenden Änderungen kommen wird, bleibt abzuwarten. Doch allein aus demokratietheoretischer Perspektive ist es entscheidend, dass der Bürger:innenwillen, der sich in Form des Abschlussberichtes der einjährigen Konferenz konstituiert hat, nicht von der EU-Politik ignoriert wird, sondern zu einem spürbaren Wandel führt. Um die Umsetzung dieses Willens adäquat kontrollieren zu können, wird jedoch auch ein gesteigertes mediales Interesse von Nöten sein.
Antikes Athen: Ist Losen demokratisch? | ZEIT/Wie war das noch mal?
Um was geht es?
Ist Losen demokratisch? Diese Frage beschäftigt die Politikwissenschaften mit Blick auf die Wiege unserer Gesellschaftsform zunehmend, denn in der attischen Polis wurden politische und juristische Ämter tatsächlich zum Teil per Losverfahren besetzt. Der ZEIT-Podcast Wie war das noch mal? schaut zurück auf die Gründe für dieses ungewohnte Politikverfahren und stellt sich der Frage, ob unsere heutige Politik von einer Amtsvergabe per Zufall profitieren würde.
Was hängen blieb:
Liberale repräsentative Demokratien stecken in einer Krise, das klang schon im letzten Newsletter an. Die Idee der Losverfahren (die beispielsweise auch von der Politikwissenschaftlerin Hélène Landemore stark gemacht wird) birgt womöglich das Potential, starr gewordene demokratische Prozesse zu revitalisieren und das Gefühl gemeinschaftlicher Verantwortung und Beteiligung zu stärken. Der Podcast bietet eine prägnante Analyse dazu, wieso das Los womöglich fairer ist als der gewohnte politische Wettlauf an die Spitze.
LARPing Goes to Disney World | The New Yorker
Um was geht es?
Themenpark trifft LARP: Im Walt Disney World Resort in Orlando, Florida eröffnete in diesem Monat (zumindest für alle Fans mit dem nötigen Kleingeld) Star Wars: Galactic Starcruiser: Eine zweitägige, immersive und verdächtig an die Serie Westworld erinnernde Rollenspielerfahrung, in der ein eigens hergerichtetes Hotel kurzerhand zum simulierten Raumschiff wird. Über die Details dieser Erfahrung, aber vor allem auch über die Hintergründe, die Disney und LARP zusammengeführt haben, berichtet Neima Jahromi für den New Yorker.
Was hängen blieb:
Ein sehr ausführlicher Artikel, der vor allem einen faszinierenden Blick auf die (nordeuropäische) LARP-Szene wirft, sowie den gesellschaftlichen Stellenwert des Live-Rollenspiels anschaulich macht. So wird beispielsweise die (mitunter staatliche) finanzielle Unterstützung von LARP-Projekten in Schweden als Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements verstanden. Auch beinhaltet der Text von Jahromi kluge und lesenswerte Gedanken über Eskapismus, über die Dynamiken zwischen echten und gespielten Rollen, sowie über den Einfluss von kommerziellen „Blockbuster“-Projekten wie jenem von Disney auf das gemeinschaftsgetriebene „Indie“-LARPing.
100 Wörter (oder so) über: Den Auftakt von Obi-Wan Kenobi
Es wäre gelogen, wenn ich mein Interesse für Obi-Wan Kenobi mit etwas anderem als meiner Nostalgie zum Star Wars-Universum erklären würde. Die ungeliebten Prequels, die nun nach der wenig populären Disney-Trilogie allmählich ins Fahrwasser der Rehabilitierung geraten, nehmen in meinem Herzen bis heute einen besonderen Platz ein. Dass die kürzlich gestartete Serie rund um die namensgebende, von Ewan McGregor gespielte Figur die Kontinuität zu eben jener Reihe klarmachen möchte, wird schon in den ersten Minuten in ungeschönter Weise deutlich. In gleicher Manier wird in den ersten Folgen spürbar, dass mit Obi-Wan Kenobi eine Figur im Zentrum steht, die das Potential bietet, Diskurse zu vertiefen, die schon in Rian Johnsons Film The Last Jedi anklangen: Wie umgehen mit dem Erbe eines Kultes, der seine Geltung und Macht verloren hat, dessen Mitgliedern nur das Exil und die Abkehr von der eigenen Tradition bleibt? Noch dazu ein Kult, der sich mit einer Tugendethik und Unantastbarkeit brüstete, die in Zeiten einer zerfallenden Gesellschaft zunehmend an Legitimation zu verlieren scheint? „Everybody bleeds“ merkt Kenobi trocken in Folge zwei an – eine Aussage, die sich nicht nur auf seine äußerliche Verwundbarkeit, sondern auch auf seine inneren Konflikte übertragen lässt. Es bleibt spannend, zu verfolgen, inwiefern es Obi-Wan Kenobi gelingen wird, mehr als nur Nostalgiebefriedigung zu bieten, und die unbearbeiteten Leerstellen im Star Wars-Universum dafür zu nutzen, eine tiefergehende Figurenerzählung zu präsentieren.