Drohnenkrieg aus der ersten Person – FPV-Drohnen, Gaming-Kultur und der Wandel der Kriegsführung im 21. Jahrhundert
Kürzlich, auf dem Weg zurück vom Einkaufen, flog zum ersten Mal in meinem Leben eine fremde Drohne direkt über meinen Kopf. Als ich mit Taschen beladen die Gassen meines Sechstausendseelendorfes entlangschritt, nahm ich plötzlich ein entferntes Summen wahr, das allmählich näher zu kommen schien und dessen Ursprung sich mir erst erschloss, als ich wild suchend den Kopf in alle Himmelsrichtungen rotieren ließ und das handgroße Flugobjekt sachte auf dem Boden landen sah. Hätte ich mich nicht gerade in der Recherche für diesen Text befunden, dann wäre die Erinnerung an diesen Moment wahrscheinlich rasch verblasst. In Anbetracht der Gedanken jedoch, die ich bereits in die Konzeption der folgenden Zeilen gesteckt hatte, ließ mich dieser kurze Moment der Irritation in einer neuen Klarheit über die globalen Implikationen eines ‘Zeitalters der Drohne’ nachdenken: Einer Ära, die spätestens mit der Ukraine-Invasion durch Russland eine ungeahnte Beschleunigung erfahren hat.
Die Geschichte der Drohne, beziehungsweise der Unmanned Arial Vehicles (UAV), wie unbemannte und ferngesteuerte Flugobjekte gemeinhin bezeichnet werden, reicht, je nach Perspektive, recht weit in die Vergangenheit zurück. Nach der Erfindung des Heißluftballons durch die Gebrüder Montgolfier im 18. Jahrhundert lässt sich ein erster größerer militärischer Einsatz von mit Sprengsätzen bestückten Flugobjekten auf das Jahr 1849 datieren, als die Armee des Kaisertums Österreich im italienischen Unabhängigkeitskrieg Ballonbomben gegen das aufständische Venedig einsetzte. Ein nächster prägender Eintrag für militärisch genutzte UAVs findet sich knapp 100 Jahre später, im Zweiten Weltkrieg. Lieutenant Commander Delmar Fahrney, der in den 1930ern bereits am U.S. Naval Research Laboratory mit dem Bau von funkbetriebenen Zielobjekten für Flugabwehrsysteme beschäftigt war, demonstrierte 1941 den Einsatz ferngesteuerter Flugzeuge, die Torpedos und Unterwasserbomben abwerfen konnten. Mit Kriegseintritt wurde Fahrney – dem die Begriffsschöpfung ‘Drohne’ nachgesagt wird – schließlich mit der Produktion von angriffsfähigen unbemannten Flugobjekten beauftragt, die durch die Implementierung von früher Fernsehtechnologie als Protomodelle der FPV-Drohne (First-Person-View) in die Geschichte eingingen.
In den 1970er Jahren etablierten sich allmählich kleinere, schnellere und einfacher zu steuernde Drohnen, die weiterhin vorrangig im Militär beheimatet waren. Sie wurden dabei zu Aufklärungszwecken genutzt, zur Störung von Radarsystemen, oder als Attrappen. So baute etwa Israel in den 70ern und 80ern seine Drohnenkompetenzen stark aus, und durch die Emigration von Abraham Karem, dem israelischen ‘Gründervater’ moderner UAV-Technologie, kam das entsprechende Pionierwissen auch in die USA. Aus Karems Design der Gnat 750, die dem Pentagon 1994 zur Aufklärung im Bosnienkrieg diente, sollte schließlich die berüchtigte Predator-Drohne hervorgehen, die ab 2001 zusätzlich mit Panzerabwehrraketen ausgestattet wurde. In Folge des ‘War on Terror’, der als Reaktion auf die Anschläge am 11. September von den USA ausgerufen wurde, sowie der einhergehenden Zunahme in der asymmetrischen Kriegsführung, wurde die Drohne zum zentralen Instrument, um mit gezielten Schlägen aus der Distanz Kombattanten und Anführer terroristischer Vereinigungen auszuschalten. In Folge von investigativen Berichten über heruntergespielte zivile Opferzahlen und Debatten zur völkerrechtlichen Bewertung einer solchen ‘Sicherheitspolitik’ wurde die Drohne zunehmend kritisch von einer breiteren Öffentlichkeit rezipiert. Und doch war sie nun nicht mehr aus dem Repertoire der modernen Kriegsführung wegzudenken – einer Kriegsführung, deren Anfangs- und Endpunkte immer stärker von Unschärfe geprägt sind und die dabei die Charakteristika eines ‘permanenten Ausnahmezustands’ annimmt.
Während die USA in dieser skizzierten ‘Frühphase’ als Quasi-Monopolist im bewaffneten Drohnenkampf auftraten, öffneten sich in den letzten fünf bis zehn Jahre auch anderen Akteuren die Tore zur Technologie. So wurden bereits 2017 selbstgebastelte Drohnen zum Abwurf von Granaten durch ISIS eingesetzt und auch Aserbaidschan griff im Bergkarabachkonflikt gegen Armenien ‘erfolgreich’ auf die türkische Kampf- und Aufklärungsdrohne Bayraktar TB2, sowie auf israelische Kamikazedrohnen zurück. Und auch die Hamas nutzte bei ihrem brutalen Terroranschlag auf Israel am 7. Oktober 2023 kommerzielle Drohnen, die mit Explosionskörpern ausgestattet waren. Der mit Abstand prägendste Schauplatz für die Entwicklung des modernen Drohnenkampfs ist jedoch aktuell der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Die massive Verbreitung von Drohnen auf ukrainischem Terrain führte dabei zu einer kuriosen Reihe von ‘ersten Malen’: So wurde am 13. Oktober 2022 zum ersten Mal ein bemanntes Flugzeug in Folge eines Kampfs mit einer Drohne zerstört. Am gleichen Tag fand zudem der erste beobachtete Kampf zwischen zwei ‘verfeindeten’ DJI Mavic-Modellen statt, in dem ein ukrainisches Modell ein russisches durch Rammmanöver zum Absturz brachte. Am 9. Mai 2023 ergab sich zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein (russischer) Rekrut einer (ukrainischen) Drohne.
Während die Ukraine in der Anfangszeit der Invasion – als die russische Drohnen- und Luftabwehr noch unvorbereiteter war – vom bereits erwähnten, hochpreisigen Bayraktar-Modell Gebrauch machte, bahnte sich für sie schon bald ein entscheidender Wandel an: Weg von ursprünglich militärisch- und aufklärungs-orientierten Flugobjekten, hin zu oftmals modifizierten oder selbstgebauten, mit Kameras bestückten kommerziellen Produkten, die in ähnlicher Form auch im zivilen Bereich Verwendung finden. Während rotorbetriebene Drohnen auf dem Schlachtfeld bereits früh zum Abwerfen von Granaten genutzt wurden, zeichnete sich in den nächsten Monaten eine weitere Entwicklung ab: Der Aufstieg der FPV-Drohne.
Dreh- und Angelpunkt ist hierbei die Bedienungsperspektive: Statt den Drohnenflug über einen Bildschirm zu verfolgen, steuert der Pilot sein Gerät aus der Ich-Perspektive der Drohne, die er über eine Videobrille empfängt, und die die Sicht des Piloten vollständig umschließt. Da die Hauptverwendung der FPV-Drohne die Explosion durch Kamikaze-Einsatz ist, wird hiermit der Pilot in gewisser Weise selbst zum ‘Geschoss’. Welche Implikationen dieser Perspektivwechsel für den Gesamtkontext der Drohne als Produkt zwischen Militärobjekt und zivilem Spiel- und Werkzeug hat, soll gleich noch erörtert werden: Zuvor jedoch noch ein paar weitere Details über die derzeitigen Ausmaße der militarisierten Drohnentechnologie im Ukrainekrieg.
Der Wandel von schwerfälligeren und teuren Aufklärungsdrohnen hin zu kleinen und wendigen FPV-Modellen bot vor allem zwei Vorteile: Eine höhere Geschwindigkeit und exaktere Manövrierbarkeit (die erlaubte, selbst in Gebäude und Bunkeranlagen einzudringen), sowie ein vielfach geringerer finanzieller Aufwand pro Einheit, inmitten einer zunehmenden Knappheit von Artilleriemunition. Während beispielsweise der Preis der U.S.-amerikanischen SwitchBlade Kamikazedrohne immer noch bei mehr als 52.000 Dollar liegt, lassen sich heimisch produzierte Modelle bereits für knapp 400 Dollar herstellen. Hier hat sich in der zivilen ukrainischen Bevölkerung und unter technikerfahrenen Soldaten eine DIY-Mentalität etabliert, deren Produktionsketten allerdings stark abhängig von chinesischen Komponenten sind, und im Einkauf gleichzeitig mit russischen Akteuren in Konkurrenz tritt. Dies verleitete China 2023 dazu, offizielle Ausfuhrkontrollen für die Ukraine und Russland zu verhängen, um der Militarisierung von heimischer Drohnentechnologie entgegenzuwirken, was vor allem der ukrainischen Seite Probleme bereitet.
Der Stellenwert der FPV-Drohne und ihre Anerkennung innerhalb der ukrainischen Streitkräfte ist dennoch ungebrochen: So wurden Anfang 2024 die Unmanned System Forces als zukünftiger Zweig der ukrainischen Armee ins Leben gerufen, während das Ministerium für Digitale Transformation im Zuge seines Army of Drones-Projektes Geld sammelt, um die Drohnen-Ambitionen des Landes zu finanzieren. Noch Ende letzten Jahres sprach Präsident Selenskyj davon, 2024 eine Million Einheiten durch die heimische Produktion bereitstellen zu wollen, und vor kurzem ließ Digitalminister Mykhailo Fedorov verlauten, dass bei entsprechender finanzieller Unterstützung aus dem Westen die Produktionskapazitäten der knapp 200 heimischen Unternehmen auf bis zu zwei Millionen Einheiten im Jahr ausgedehnt werden könne.
Die massenhafte Herstellung von FPV-Kamikazedrohnen beruhte dabei lange auf der simplen Gegenrechnung, dass selbst bei niedrigen Trefferquoten (in einem Interview mit Ukrajinska Prawda wird etwa ein Pilot mit einer Erfolgsquote von 1:5 bereits als talentiert bezeichnet) der gegnerische finanzielle Schaden bei Zielen wie Überwachungssystemen, Panzern, oder sonstigem schweren Kriegsgerät weitaus höher liegt als der eigene Aufwand. Während in der russischen Armee die eigenen Drohnenfähigkeiten bereits länger vermehrt gegen infanteristische Ziele eingesetzt werden, findet sich mittlerweile allerdings auch in der ukrainischen Kriegsführung eine Ausdehnung des Drohnenkampfes, hin zur gezielten ‘Jagd’ auf einzelne feindliche Soldaten aus der Ich-Perspektive. Auch wenn Meinungen zum langfristigen Einflusses der Drohnentechnik auf die Zukunft der Kriegsführung mitunter auseinandergehen, zeichnen sich anhand einer solchen, zunehmend atomistischen Zielsuche unmittelbare Effekte für sowohl ukrainische und russische Truppen ab. Der frühere britische Armeeoffizier Sergio Miller verglich die Drohne etwa mit dem Einsatz des Maschinengewehrs im ersten Weltkrieg, welches das Vorrücken auf feindliche Stellungen erheblich erschwerte und für Pattsituationen sorgte. Ähnliche Aussagen finden sich auch mit Blick auf die heutige Zeit, etwa wenn die sogenannte “gray zone” in der Region Donezk – der Grenzbereich zwischen den sich gegenüberstehenden Truppen – aufgrund des vollständig von Drohnen beherrschten Himmels als schier unüberwindbare “death zone” bezeichnet wird.
Der massive Einsatz von Kamikaze-Drohnen macht dabei nur einen Teil dieser Luftmacht (und Seemacht) aus. Laut Economist wird eine ukrainische Einsatzgruppe von 12 bis 16 Mann von beinahe der gleichen Anzahl an Drohnenpiloten begleitet, von denen wiederum die Hälfte für Aufklärung und sonstige Tätigkeiten zuständig sind. Die restlichen FPV-Kamikazepiloten sind somit eingebunden in einen größeren funktionalen Rahmen aus Navigation, Überwachung, Datendekodierung, Signalverstärkung, gemeinsam koordinierten Einsätzen, und den neuesten Werkzeugen der Militär-Tech-Industrie. Die Innovationen im Drohnenkrieg ähneln dabei einem Katz-und-Maus-Spiel, in dem das Ausklügeln von Kontermaßnahmen oberste Priorität einnimmt. Eine große (aber nicht alleinige) Rolle spielen hierbei etwa sogenannte Jammer, die das Signal zwischen Drohne und Piloten stören und den Bereich der sicher nutzbaren Frequenzen eingrenzen.
Eine weitere aktuelle Entwicklung in diesem russisch-ukrainischen Wettrüsten ist dabei der Einsatz von künstlicher Intelligenz und vollständig autonom fliegenden Drohnen, die auch im Falle eines Verbindungsabbruchs ihr Ziel finden sollen. Erschreckenderweise sei die Herstellung einer AI-gestützten autonomen Killerdrohne dabei weitaus weniger komplex als etwa die Entwicklung an verkehrstauglichen selbstfahrenden Autos. Beispielhaft beobachten ließ sich ein großflächiger Einsatz (teil-)autonomer Drohnensysteme Experten zufolge kürzlich bei einem großflächigen Angriff der Ukraine auf russische Ölraffinerien. Die Externalitäten, die diese Entwicklung von autonomen Kriegsgerät mit sich bringen, sind heute noch nicht absehbar, doch die Debatte über die Gefahren ist bereits im vollen Gange. Human Rights Watch warnt etwa vor einer “digitalen Dehumanisierung” durch autonome Waffensysteme, die der Einhegung durch neue Gesetze bedürfen. Laut António Guterres, Generalsekretär der UN, soll bis 2026 ein Verbot des Einsatzes von sogenannten LAWs (lethal autonomous weapons) ohne menschliche Aufsicht erreicht werden. Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern sich die Dynamiken, die hier losgetreten wurden, völkerrechtlich abmildern und eindämmen lassen werden.
Trotz der zunehmenden Rolle von autonomen Systemen ist es jedoch weiterhin die menschlich gesteuerte FPV-Drohne, die für mich einen zentralen Stellenwert in der Betrachtung dieses aktuellen Konflikts einnimmt. Dieser Stellenwert beschränkt sich nicht nur auf den direkten militärischen Einsatz, sondern auch auf die (digital erzeugten und online geteilten) Bilderwelten der Technologie, sowie ihre Schnittmenge mit der Ästhetik und Phänomenologie von Videospielen. Diese Überschneidungen lassen sich kurioserweise bereits anhand von Rekrutierungsschemata in diesem Krieg nachzeichnen. So gab es zumindest auf russischer Seite explizite Aufrufe zum Anwerben von Drohnenpiloten mit Videospielerfahrung, während sich auch auf Seiten der Ukraine diverse Aussagen dazu finden, dass Expertise in der Drohnensteuerung und Vorerfahrung mit Videospielen nicht selten korrelieren. Zudem scheint es im Fall der FPV-Drohnen eine Häufung von Piloten aus ursprünglich nicht-militärischen, zivilen Berufen zu geben, die etwa schon Erfahrung mit der Technologie als Kameramenschen oder Hochzeitsfotografen gesammelt haben.
Zum einen ergibt sich diese Schnittmenge durch die aus Videospielen bekannte Steuerung aus der ersten Perspektive, die regelmäßig als „immersive“ und „visceral“ bezeichnet wird. Ein Pilot mit dem Namen Olexsandr bestätigte im Gespräch mit The Guardian diese Ähnlichkeiten und unterstrich gleichzeitig, welche Rolle ein Modus der Entspannung für seine zur Routine gewordene Arbeit spielt: „It‘s fun, you know? When it’s fun, when you relax. It’s easy. When you are tense, it is not possible to work correctly”. Auch in einem Bericht der Plattform Scripp News spricht ein interviewter FPV-Pilot darüber, durch Rock- und Metal-Musik in einen für den Job notwendigen Modus der Ruhe und Entspannung zu kommen. Diese Mischung aus Adrenalin und routinierter Entspannung scheint den Erfahrungen vieler Videospieler zumindest nicht unähnlich. Hiermit stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem psychologischen Effekt, der durch das distanzierte Töten bei den Beteiligten ausgelöst wird. Zwar wurde sich in der (erschreckend spärlichen) Forschung bereits im Kontext des Drohnenkrieges der frühen 2000er und 2010er mit dieser Frage beschäftigt, doch gerade die Mischung aus hyper-immersiver Perspektive und distanzierter Steuerposition im Falle der FPV-Piloten wirft die Frage auf, bis zu welchem Grad bisherige Forschungsergebnisse an diese Entwicklungen anknüpfen können.
Zentral wird etwa in einem Text aus dem Jahr 2017 von Hijazi und Ferguson et al. mit dem Titel “Psychological Dimensions of Drone Warfare” das Konzept der ‘moral injury’ hervorgehoben. Dieses beschreibt im konkreten Fall den paradoxen moralischen Zustand von Drohnenpiloten, die aus sicherer Entfernung mit der Macht ausgestattet werden, als ‘Scharfschützen der Lüfte’ (Kollateral-)Schäden bei ahnungslosen Zielen anzurichten. Das beeinträchtigte Selbstverständnis der Drohnenpiloten im Kontext ihrer institutionellen Eingebundenheit und asymmetrischen Machtausübung wird damit zum wiederkehrenden Problempunkt. Interessanterweise verweist der gleiche Text auch auf psychologische Effekte innerhalb der Zivilbevölkerungen, die regelmäßigen Drohnenangriffen ausgesetzt sind und hebt hierbei vor allem die ständige Anspannung durch drohende Einschläge hervor, die durch die mitunter stundenlang in der Luft patrouillierenden Drohnen ausgelöst wird.
Eine Auseinandersetzungen mit dem Objekt der Drohne im Kontext von Videospielen findet sich wiederum in Playing War: Military Video Games after 9/11 von Matthew Thomas Payne, der in einem Kapitel mit Blick auf Spec Ops: The Line, das Indie-Spiel Unmanned, und Call of Duty: Black Ops 2 (dem ironischerweise in der limitierten Care Package Edition ein Quadrokopter beilag) virtuelle Darstellungen der Technologie untersucht. Die Idee einer technisch-deterministischen Dehumanisierung von Angriffszielen, sowie die Verwechslung der eigenen militärischen Perspektive mit dem Modus von Videospielen wird von Payne jedoch bereits einleitend klar zurückgewiesen. Zudem weist er mit Ian Bogost und dessen Begriff des simulation fever umgekehrt darauf hin, dass der magische Zirkel des Videospielens – “the game’s functioning as a textual machine” – stets vom Einbruch von realweltlichem Wissen bedroht ist. Spiel und Simulation sind somit, um überhaupt funktionieren zu können, zu einer gewissen Abstraktion und Ablenkung vom Alltag verdammt.
Ebenfalls hebt Payne mit einem Zitat von Peter W. Singer hervor, dass die Einführung der Drohne im Krieg insofern für eine Zäsur gesorgt hätte, da sich hierdurch zum ersten Mal nicht nur die Art des Kämpfens verändert habe, sondern zudem eine Transformation des Kämpfers selbst, des ‘Agenten’ auf dem Schlachtfeld, stattfand. Dies lässt sich auf interessante Weise verbinden mit Bemerkungen eines ehemaligen Drohnenpiloten zur Idee des ‘Kriegerethos’, aufgezeichnet in einer Doku des Guardian: Die Vorstellung eines solchen Ethos, das auch im herkömmlichen Krieg von den realen Erfahrungen im Einsatz herausgefordert wird, sei im Falle von bewaffneten Drohneneinsätzen um ein Vielfaches stärker auf die Probe gestellt. Die Distanzierung und Asymmetrie, die das Töten mit Drohnen für die U.S.-Behörden auszeichne, verwische zunehmend die Linie zwischen völkerrechtlich gerahmten Kriegshandlungen und beauftragtem Mord, so der Pilot selbst.
Mögen diese Beobachtungen zu einem früheren Zeitpunkt den Zustand militarisierter Drohnentechnik gut eingefangen haben, so lässt sich die ‘Involviertheit’ der Piloten hinter den FPV-Brillen in der Ukraine schon allein aufgrund ihrer weitaus prekäreren Lage in unmittelbarer Nähe zum militärischen Geschehen nicht mit gleichen Maßstäben beurteilen. Diese permanente Gefährdung der eigenen Position wird in einem Gespräch der Washington Post mit einem Piloten namens Stanislav treffend veranschaulicht: “When you see ten drones in the sky there’s no way to understand if it’s our drone coming back after reconnaissance in Russian-controlled territory or if it’s their drone which is coming for reconnaissance or attacking Ukrainian-controlled territory”.
Durch diese Neupositionierung des Drohnenpiloten, der aus klandestin operierenden, weit entfernten Kommandozentralen ‘zurück’ auf die Schlachtfelder des 21. Jahrhunderts verfrachtet wird und damit ebenso eine Re-Integration in etablierte kriegerische Heldenmythen erfährt (die auch die oben angesprochene ‘moral injury’ in einem neuen Licht erscheinen lässt), findet somit eine völlig neue Bewertung des Drohnenkampfs statt. Dies lässt sich auch daran feststellen, dass das mediale Teilen von verwackelten und unscharfen Drohnenoperationen aus der ersten Perspektive einen zentralen Bestandteil des mitlaufenden Propagandakrieges ausmacht. Die gezielte Auswahl von besonders abenteuerlichen (und natürlich stets erfolgreichen) Flügen trübt dabei den Blick auf komplexere Perspektiven – etwa das oben bereits erwähnten Faktum einer durchschnittlich sehr geringen Trefferquote für FPV-Einsätze.
Die Popularisierung der Bildwelten von modernen, ursprünglich zivil angedachten FPV-Drohnen, als auch das Hineinbluten von militärischen Interessen in diesen kulturellen Raum, lässt sich dabei erstaunlich weit zurückführen. Tatsächlich gehen diese ‘Bildwelten’, und damit auch die Idee einer Kopplung von Videobrillen mit Echtzeitfeed und Quadrokoptern, zurück auf das sogenannte Drone Racing – eine underground Sportart mit australischem Ursprung im Jahr 2014, die von dort an eine rasante Entwicklung erfahren hat. In einem Beitrag aus 2015 von ArsTechnica lassen sich dabei bereits Merkmale und Stichwörter identifizieren, die auch in der heutigen Berichterstattung zum Drohnenkrieg in der Ukraine vermehrt zu finden sind, etwa der DIY-Charakter des Drohnenbaus oder die Darstellung einer immersiven Erfahrung beim Steuern des Geräts. Mit Gründung der Drone Racing League im Jahre 2015 wurde der Sport aus der Hobbyisten-Nische auf die große Bühne geholt und in einen mit zahllosen Sponsoren versehenen wettkämpferischen Rahmen mit Millionenpublikum gepackt. Um Liga-Präsidentin Rachel Jacobson zu zitieren: „We are the F1 [Formel 1] of the skies“.
Doch wo sich massenweise junge, technikbegeisterte Männer und Frauen tummeln, scheint auch das Militär nicht weit. So besteht eine enge Verbindung zwischen der Drone Racing League und der U.S. Air Force, die in der Saison 2023/24 sogar in ein erstes eigenes Team mündete. “They are future U.S. Air Force recruits and airmen, and a core reason why we continue to renew our partnership with DRL year after year”, so Brigadier General Christopher Amrhein unverblümt. Die Verbindungen zwischen der Drone Racing League, die auch mit einem Simulator auf der Spieleplattform Steam vertreten ist, dem Militär, und dem breiteren Feld der Videospiele und ihrer Communities sind dabei nicht zufällig. So hat die U.S. Army bereits die Livestreaming-Seite Twitch als Anwerbungsplattform benutzt und Kritik für eine Anzeigenkampagnen im Playstation Magazin geerntet. Eine direkte Partnerschaft zwischen dem Publisher Activision und dem Militär existiert etwa im Fall der Call of Duty Endowment, einer non-profit Organisation, die sich der Aufgabe verschrieben hat, Veteranen den Weg zurück in ein ziviles Leben zu ebnen. Auch sind militärische Zweige der USA in eSports-Teams vertreten (die Navy etwa mit einem jährlichen Anteil von 3-5% ihres Marketingbudgets), während durch Discord-Kanäle und Sponsorships von Ligen wie der DRL weiter Präsenz in den Communities der Videospieler aufgebaut wird.
Die gemeinsame Geschichte von Games und dem Militär reicht allerdings noch weiter zurück. Während schon in den 1930er Jahren Simulatoren für Trainingszwecke zum Einsatz kamen, hat vor allem das 2002 erschienene Spiel America’s Army einen notorischen Kultstatus als digitale Werbeplattform für das Militär erreicht. Entwickelt als Reaktion auf verfehlte Ausbildungsziele der Army im Jahr 1999, schaffte es das ‘Advergame’ (mutmaßlich), dass im Jahr 2006 die Zahl neuer Rekruten die Zielmarke wieder überschritt – Rekruten, von denen laut Casey Wardynski, Ideengeber und späterer Projektleiter des Titels, 40% angaben, das Spiel bereits gespielt zu haben. Laut einer Studie des MIT aus dem Jahr 2008 habe America’s Army zudem die Haltung von 16- bis 24-jährigen U.S.-Amerikaner zum Militär in positiver Weise geprägt.
Auch wenn, wie oben bereits erwähnt, die Forschungslage einer zu voreiligen und oberflächlichen Assoziation von Videospielen und dem Töten mit Drohnen widerspricht, so gibt es doch auf unterschiedlichen Ebenen kaum negierbare Verschränkungen zwischen Militär, Technik, Unterhaltungsmedien, und dem ‘community building’ im Videospielbereich. Ebenso scheint eine Nähe zwischen den kognitiven und koordinativen Fähigkeiten, die von Videospielenden eingeübt und geschärft werden, und jenen, die FPV-Drohnenpiloten abrufen müssen, mehr als plausibel. Die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg geben uns somit nicht nur einen Einblick in eine mögliche Zukunft der Kriegsführung – namentlich der wachsenden Implementierung und Steuerung von unbemannten und zunehmend autonomen ‘Agenten’ – sondern auch in die erwartbaren Verschränkungen von Videospielästhetik und -kompetenzen auf der einen Seite, und den militärischen Rekrutierungsbemühungen auf der anderen.
Laut Anton Frolov, einem Ausbilder der Kruk Drohnenschule in Kyiv, lernen neue Rekruten die Steuerung des Geräts schon jetzt in erster Instanz anhand von Simulatoren von der Videospielplattform Steam. Auf Steam findet sich zudem, neben besagten Simulatoren, nicht nur das wahrscheinlich erste größere Spiel mit direktem Bezug zum Ukrainekrieg – ein Titel namens Death From Above, in dem man, man ahnt es, eine Drohne steuert – sondern auch Spiele, die sehr explizit die Ästhetik der FPV-Drohnen im Ukrainekrieg annehmen, wie beispielsweise das unverblümt getitelte, und mit einer Altersangabe von 12 Jahren versehene FPV Kamikaze Drone. Die Pipeline von adrenalingeladenen Racing-Simulationen zum authentischen Drohnenkrieg im 21. Jahrhundert hat es damit endgültig ‘ins Kinderzimmer’ geschafft – auch deswegen, weil das Drohnensteuern aus der ersten Person nun offiziell Teil des Lehrplans sowohl russischer als auch ukrainischer Schulen ist, oder werden soll. Eines steht auf jeden Fall fest: Drohnen werden uns auch weiterhin begleiten und ihr gesellschaftlicher Stellenwert zunehmen; im besten Fall vorrangig in zivilen und infrastrukturellen Bereichen, im schlimmsten in Form von militarisierten, unkalkulierbaren und zunehmend von menschlicher ‘agency’ losgelösten Allzweckwaffen für Überwachung, Terror, und kriegerische Auseinandersetzungen. Ein Zurück davon gibt es nicht mehr – und gerade deswegen muss es uns wert sein, für eine Welt zu kämpfen, in der das Summen im Himmel seinen Schrecken verliert, in der zwischenstaatliche Konflikte langfristig eingehegt werden, und in der Drone Racing einfach nur ein harmloser Sport sein darf.