Konstruktiver Journalismus im Selbstexperiment, Chinas Haltung zu Russland und die Geschichte der Erbschaftssteuer
Diese Woche in der Grübelkiste: Eine Ankündigung in eigener Sache! Dieser Newsletter wird nun nicht nur (hoffentlich) wieder regelmäßig erscheinen, sondern auch in etwas anderer Form: Jeden zweiten Mittwoch gibt es eine reguläre Ausgabe mit drei kuratierten Empfehlungen (ein Podcast, ein Video, ein Text). Mindestens einmal pro Monat gibt es zudem einen ausgelagerten monothematischen Artikel – entweder eine etwas ausführlichere Besprechung eines Films, Buchs, Spiels oder Ähnlichem, oder ein essayistisch aufbereitetes gesellschaftskritisches Thema mit geistes- und sozialwissenschaftlichem Anspruch. So, das wars schon, und jetzt ab zu den folgenden Themen, und zwar: Einem künstlerisch anspruchsvollem Selbstexperiment zum Thema konstruktiver Journalismus, eine Auseinandersetzung mit der aktuellen chinesischen außenpolitischen Position zu Russland und ein Text über die Geschichte der Erbschaftssteuer. Viel Spaß beim Lesen, Hören und Schauen!
Das passiert mit deinem Gehirn, ohne schlechte Nachrichten! | Selbstexperiment | DeChangeman
Um was geht es?
Sich dem täglichen Nachrichtenstrom in Zeitungen oder den sozialen Medien auszusetzen, kostet oftmals eine enorme Kraft. Die Flut von augenblicklich veröffentlichten, authentischen Live-Berichten über noch so entfernte Unglücke auf der Welt füllen schnell den eigenen Feed und wecken den Eindruck, dass unsere Welt vollständig vom Schlechten beherrscht wird. Dabei neigt der Modus der negativen Berichterstattung dazu, existierende positive Entwicklungen auszublenden oder verkürzt darzustellen. Welchen Effekt eine Mediendiät auf die Psyche hat, die sich auf konstruktiven Journalismus statt auf Negativbeschreibungen fokussiert, zeigt der YouTuber DeChangeman im Selbstexperiment.
Was hängen blieb:
Die Videos von DeChangeman sind künstlerisch aufbereitet, klug strukturiert, angenehm gedankenanregend und inspirierend. Gestützt von wissenschaftlichen Einordnungen zeigt das dargestellte Experiment schön auf, wie die eigene Weltwahrnehmung und das Gefühl von Selbstwirksamkeit mit der Art und Weise zusammenhängen können, wie einem die Welt, ihre Probleme und deren Lösungsansätze präsentiert werden.
Autocrats' pact | Drum Tower
Um was geht es?
Die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und China sind bisweilen aus einer europäischen Perspektive schwer zu entziffern. Der Beginn der Ukraine-Invasion traf die chinesische Regierung unvorbereitet, die im Zuge ihres Seidenstraßenprojekts auch Gelder in die Ukraine investierte hatte. Nach anfänglicher politischer Unklarheit ließ sich allerdings schnell erkennen, dass eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs aus Peking nicht zu erwarten war. Der Podcast Drum Tower von The Economist nimmt sich dem Thema an, offenbart im Interview mit chinesischen Experten so manche Widersprüchlichkeiten und erklärt, wie die KP ihre wichtigsten außenpolitische Ziele definiert.
Was hängen blieb:
Interessant waren für mich hier zwei Dinge: Zum einen, wie das Thema Ukraine-Krieg auf den digitalen chinesischen Plattformen dargestellt wurde (die Politisierung durch nationalistische putin-freundliche Propaganda und die zunehmende Zensur von pro-ukrainischen Positionen) sowie die Interview-Ausschnitte aus dem Gespräch mit dem Uni-Professor Wang Yiwei, dessen Aussagen teilweise eine kritischere Sichtweise auf das russische Handeln und die chinesisch-russische Beziehung offenbarten, gleichzeitig aber die anti-westliche Grundhaltung und die daraus teilweise entstehenden Paradoxien deutlich aufzeigt.
Die Besteuerung des Reichtums. Die Erbschaftsteuer in Geschichte und Gegenwart | Geschichte der Gegenwart
Um was geht es?
Das deutsche Steuersystem ist immer wieder Gegenstand polarisierender Debatten: Die einen beklagen sich (meist mit Blick auf die Einkommenssteuer) über vermeintliche überdurchschnittlich hohe Steuersätze, andere diskutieren die Ungleichbehandlung und Vorzüge, die vor allem hochvermögende Steuerzahler:innen genießen sowie die demokratietheoretischen Probleme, die sich daraus ergeben. Zu letzteren zählt auch der Autor folgenden Textes, der die Entwicklung der Erbschaftssteuer in Deutschland nachzeichnet und mit anderen historischen Beispielen westlicher Demokratien vergleicht.
Was hängen blieb:
Da die Debatte um das deutsche Steuersystem oftmals sehr populistisch geführt wird und häufig der Gedanke entsteht, die heimischen Sätze seien gerade im internationalen Vergleich besonders hoch, lohnt es sich sehr, diesen Text zu lesen, da er gekonnt aufzeigt, dass diese Vorstellung zumindest im Fall von besessenem und vererbtem Vermögen nicht zutrifft. Der Blick in die Geschichte offenbart, wie Deutschland erbschaftssteuertechnisch nicht nur häufig historisches Schlusslicht war, sondern dass die Alliierten den vergleichsweise niedrigen Erbschaftssteuersatz nach dem Krieg erst anhoben, ehe dieser kurz drauf von der BRD wieder dramatisch gesenkt wurde. Eindrucksvoll wird auch nochmal aufgezeigt, wie die neoliberale Wende seit den 1980ern zunehmend auf internationaler Ebene Vermögende entlastete, während Arbeit und Konsum eine immer stärkere Steuerbelastung erfuhren.