Krise der Demokratie, Landraub in Deutschland, digitaler Kolonialismus und Yellowjackets
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein Video zum Status Quo der Demokratien auf globaler Ebene, ein Podcast zum Einfluss von Investoren und Spekulation auf die Landwirtschaft und Bodenpreise, ein Artikel zum Thema digitaler Ausbeutung im Bereich Crowdworking und 100 Wörter (oder so) zur Serie Yellowjackets.
Demokratien weltweit unter Druck? | Mit offenen Karten/ARTE
Um was geht es?
Eine der wichtigsten Lehren für die westliche Welt des 21. Jahrhunderts lautet: Demokratien sind keine Selbstverständlichkeit. Wenn wir uns nicht um ihren Erhalt kümmern, entgleiten sie uns und drohen, durch totalitäre Strukturen ersetzt zu werden. Dies zeigt sich auch in empirischen Untersuchungen, die nahelegen, dass der Anteil der weltweiten Demokratien tatsächlich abnimmt. Mit offenen Karten widmet sich der globalen Perspektive und gibt einen Überblick zu den Gefahren, die den pluralen Demokratie drohen.
Was hängen blieb:
Ich glaube, der größte Mehrwert des Videos liegt darin, dass es die globale Spaltung in Sachen Demokratisierung konkret und unter Bezugnahme von Statistiken vor Augen führt. Einen beunruhigenden Anhaltspunkt bot kürzlich die UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffskriegs. Diese wurde zwar mehrheitlich von Staaten befürwortet, jedoch zeigte sich gerade mit Blick auf die Bevölkerungsverhältnisse, dass in jenen Staaten, die sich enthielten oder gegen die Verurteilung aussprachen, gut die Hälfte der Weltbevölkerung lebt. Mit Blick auf die Vielzahl der im Video angesprochenen hybriden Staaten (mit politischen Ordnungen, die sowohl autokratische als auch demokratische Züge enthalten), wird sich in den kommenden Jahren zeigen, ob es Demokratien gelingt, ihre selbstzerstörerischen Momente einzufangen und damit den aktuellen globalen Trend wieder umzukehren.
Landraub in Deutschland | radioFeature/ARD
Um was geht es?
Laut Marx begann der Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen, mit der ursprünglichen Akkumulation, der gewaltsamen oder zumindest juristisch zweifelhaften Aneignung von Grund und Boden am dem Ende der Feudalzeit. Heute, einige Jahrhunderte später, treiben die durch Spekulation angeheizten Bodenpreise vor allem den Wohnungsmarkt in immer steilere Höhen. Aber auch vor landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen macht der Ausverkauf durch überregionale und ausländische Investoren nicht Halt. Das ARD radiofeature berichtet über die Flucht des Kapitals in das Agrargeschäft und die sich daraus ergebenden Folgen für die Industrie.
Was hängen blieb:
Der Beitrag beschreibt eindrücklich, wie vor allem ostdeutsches Ackerland in Folge der Verwaltung durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger zum begehrten Investitionsobjekt wurde. Dabei wieselte man sich mitunter geschickt um die Kontrolle des Staates: Family Offices, die das Vermögen reicher Privatpersonen verwalten und vervielfachen, erwerben durch sogenannte ‚Share Deals‘ Betriebe mit zugehörigen Landflächen, die dadurch ebenfalls in den Investorenbesitz wandern. Somit lassen sich steuerliche Vorteile rausschlagen und die Genehmigungsverfahren durch Behörden umgehen, die normalerweise beim Kauf von Landwirtschaftsflächen anfallen. Als Gegenbeispiel zu solchen Methoden nennen die Journalist:innen das Vorzeigemodell Frankreich, wo durch stärkere staatliche Regulierung regionalen und jungen Bauer:innen der Erwerb erschwinglicher Flächen möglich gemacht wird. Eine ganz aktuelle Brisanz erhält der Beitrag durch die Ukraine-Krise, die die Gefahr birgt, die Kosten (vor allem für kleinere Betriebe), sowie die Spekulation auf unbestimmte Zeit weiter in die Höhe zu treiben.
Globale Arbeitsketten der westlichen KI | Netzpolitik.org
Um was geht es?
In diesem Beitrag von Netzpolitik.org aus einer Reihe zum Thema ‚Digitaler Kolonialismus‘ geht es um die verschiedenen Crowdworking-Tätigkeiten, die vielerorts an den globalen Süden ausgelagert werden. Der Preis für diese häufig stark monotone und entfremdete Arbeit ist hier oft einem unfreiwilligen ‚race to the bottom‘ zwischen Regionen mit niedrigen Medianeinkommen und hoher Armut ausgeliefert, von dem vor allem westliche IT-Unternehmen profitieren.
Was hängen blieb:
Empfohlen sei hier vor allem die Artikelreihe insgesamt, und gelobt die Idee, den Sammelbegriff „Digitaler Kolonialismus“ zu nutzen, um die Vielzahl an heterogenen Praktiken des Outsourcings und der privatwirtschaftlichen Einflussnahme durch die neuen digitalen Industrien in strukturschwachen Regionen zusammenzufassen. Der empfohlene Beitrag erläutert sehr einprägsam die persönlichen Zwickmühlen, in denen sich die beteiligten Arbeiter:innen befinden und den preislichen Unterbietungswettbewerb, der dazu führt, dass strengere Arbeitsgesetze mitunter abgelehnt werden, weil eine digitale Verlagerung zum nächstbesten Niedriglohnland befürchtet wird.
100 Wörter (oder so) über: Yellowjackets
Mein Serienkonsum befand sich bis zuletzt irgendwo zwischen Übersättigung und Entzugserscheinungen. Der letzte Plot, dessen Entwicklung ich mit wahrhaftigem Interesse verfolgt habe und nicht nur zur Berieselung über mich erdulden ließ, war wahrscheinlich der der letzten Staffel von The Expanse (was auch schon wieder eine Weile zurückliegt). Daher war ich umso glücklicher, als ich kürzlich auf die Serie Yellowjackets stieß. In einer Zeit, in der sich Streaming-Serien auf eine für mich nicht ganz greifbare Art oftmals sehr gleich anfühlen, strahlt Yellowjackets den sympathischen Charme der goldenen TV-Ära von einer Zeit vor Netflix aus. Vielleicht auch nur eine subjektive Empfindung, denn der Plot weist mitunter starke Anleihen zur damaligen Erfolgsserie Lost auf: In Yellowjackets stürzt nicht nur ein Highschool-Frauenfußballteam über Kanada ab und strandet in der Wildnis – auch findet die Geschichte auf zwei unterschiedlichen Narrationsebenen statt (eine erzählt die Ereignisse vor und unmittelbar nach dem Crash, die andere setzt 25 Jahre später an). Dass in der Wildnis sehr seltsame Dinge geschehen sein müssen, die einen nachhaltigen Einfluss auf das Team ausüben, und dass die Serie zudem nicht zimperlich ist, was punktuelle explizite Darstellungen angeht, wird einem schnell klar. Auch wenn ich erst zwei der insgesamt zehn Folgen der ersten Staffel gesehen habe, hat mich das exzellente Schauspiel, die einfühlsam-mysteriöse Charakterisierung der Figuren und die rätselhafte Grundstimmung bereits jetzt gepackt. Ein Manko hat Yellowjackets dennoch: Jedes Mal, wenn ich eine Folge starten möchte, muss ich mich am Titelbild vorbeiquälen, auf dem eine Wespe abgebildet ist, die auf der Backe einer Frau sitzt. Ekelhaft. Ich hasse Wespen.